28.01.2021 – 05.02.2021
Wer die Neustadt und das Hecht kennt, kennt auch Ingo R. Tanzend, diskutierend, rauchend, unermüdlich. Die Künstlerin ist der wohl aufregendste Import, den der Schwarzwald zu bieten hatte und bereichert das Viertel mit Szene. Ein Besuch in ihrem Atelier und Zuhause.
In Ingos Reich riecht es nach Rauch und Rauchwerk, keine glatte Wand lässt das Auge ruhen. Aus allen Winkeln blicken Gesichter, Geister, Damönen. Person und Kunst Ingo R sind nicht voneinander zu trennen. Der Tisch trägt Pinselstriche, der Kachelofen ist eine kleine Galerie, das Schlafzimmer ein Lager. Auf die Frage, wie sie zur Kunst kam, schaut Ingo wie der Baum, den man fragt, warum er Wurzeln hat. Fotografie, Bildhauerei, Malerei – „Das ist alles in mir drin. Ich habe mit Kunst zu tun, seit ich lebe.“ Wenn ‚etwas raus will‘, steht Ingo zehn Stunden an der Staffelei, ohne Unterbrechung. Man glaubt es, in Anbetracht ihrer sehnigen Arme, des knopfäugigen festen Blicks und des starken Willens. Ihre Hände sind glatt, mit filigranen Fingern, wie die eines jungen Mädchens. Ihre Stimme ein rauer Blues.
Ingo kam vor 24 Jahren nach Dresden. Dresden ist eine Station nach vielen: in den 70ern bereiste sie allein die Türkei und Nordafrika, es folgten 15 Jahre Zürich, acht Jahre Philadelphia, dann Paris. Immer lebte sie in Künstlergruppen, tauschte sich aus, inhalierte die andere Kultur. „Ich kenne Leute aus der ganzen Welt. Ich kann mich überall bewegen.“ Lange arbeitete sie in der Kunsttherapie: im Hospiz, im Entzug, mit Jugendlichen. „Die arbeiteten teilweise komisch“, sagt sie nachdenklich und meint damit die Einrichtungen. „Mit Zuckerbrot und Peitsche.“ Sie selbst redete Tacheles mit den Jugendlichen, stellte ihre Regeln auf, gab eine extra Ration Zigaretten, lud ‚zum Auskotzen‘ in ihr Atelier ein und hörte zu. Nach dreißig Jahren wollte sie ihr eigenen Ding machen.
„Dresden ist mein Zuhause geworden. Hier lernst du Kulturschaffende aus der ganzen Welt kennen“, sagt Ingo, zieht ihren Lippenstift nach und tupft das überschüssige Rot mit einem Tüchlein fort. „Klar, es ist schon Hardcore, was hier abgeht. Aber ich bin zuversichtlich.“ Ihre Vision für die Zukunft? „Deutschland nazifrei.“ Ingo R lebt und arbeitet weiter, mit viel natürlicher Neugier, selbstverständlichem Humanismus und einem wilden Herzen, so rot und frisch wie ihr Lippenstift.
Alex Affenzahn + Gabriele Nagel